Peter Jentzmik: "Der Tanz der Sonne" ZEN - In der Kunst des Haiku

Mensch, werde wesentlich - das wäre wohl schön, mal von so vielem abzusehen. Vielleicht ist es ja nur eine Frage des günstigen
Augenblicks und man käme sich bei Tour noch selber auf die Spur. Was für Aussichten: Nichts stünde uns im Weg, nicht einmal wir
selbst und der Blick wäre frei. Worauf? Wer weiß, vielleicht könnten wir ja wirklich der Sonne beim Tanzen zusehen. 
"Der Tanz der Sonne" - so heißt der zweite Gedichtband, den Peter Jentzmik nun vorgelegt hat. Wie in seinem ersten Buch, in dem er
sich "Zum Rand der Erde" vortastete, hat der Limburger Germanist und Theologe 48 Gedichte in der alten Tradition des japanischen
Haiku verfasst. In jeweils dreizeiligen Gedichten, deren erster Vers aus fünf, der zweite aus sieben und der dritte wieder aus fünf Silben
besteht, beschäftigt er sich mit Gott und der Welt, dem Himmel und der Erde: 

Wolken am Himmel / Im Wasser spiegeln sie sich / und lösen sich auf. 

Jentzmik beherrscht die Form; es sind kunstvolle Gedichte, keine gekünstelten, obwohl die Metrik keine geringen Gestaltungsansprüche
stellt. Das Buch nimmt sich nebenbei den Luxus heraus, mit einigen unbeschriebenen Blättern zu erscheinen. Es geht ja im buddhistischen
Sinne um alles, auch ums Nichts. Ein weites Feld, ein großer Stoff, doch große Töne werden nicht gespuckt. Der Wortschatz ist so
elementar wie die oft gleichnishaften Erfahrungen, von denen die Rede ist. 

Auf steilem Felsen / schau ich wie in der Tiefe / Gestein verwittert. 

Hier schreibt einer auch gegen ein zerstreutes Zeitalter an, dessen Oberflächlichkeit, Kuhglück-Angebote und Zumutungen. So wird das
Buch ein gutes Meditationsangebot. Seine geistigen Grundlagen werden als "Zen in der Kunst des Haiku", wie der Untertitel auch
diesmal heißt, in einem Nachwort umrissen: Beim beschaulichen Versenken in ein Detail der Fülle, die die Welt zu bieten hat, verliert sich
der Betrachter - ob als Schreiber oder Leser - nicht in der Realität, sondern lost sich von ihr. Dieses ästhetische, körperlich als
Entspannung erfahrbare Erlebnis soll zu keinem weltabgewandten, sondern zu einem in der Weltdistanz erlösenden Zustand der Freiheit
führen Die Welt ist ein mit Augen, Ohren, Nase oder Händen spürbares, geradezu beeindruckendes Phänomen, aber sie ist es letztlich
als Gleichnis für eine übersinnliche Wahrheit. 
Dieser Wahrheit geht der Haiku-Künstler Jentzmik in "Der Tanz der Sonne" einmal intuitiv, ein andermal gedanklich nach: 
 
Wände tragen das / Firmament unsrer Ängste / sie schaffen Raum. 

Es ist unzeitgemäß, sich angesichts der Gefährdungen des Lebens nicht der Verzweiflung hinzugeben oder den feuilleton-erprobten
Formen ihrer Stilisierung. Es spricht Gottvertrauen aus den Versen, aber eines, das ganz sanft durch die Seiten scheint. In der so
souveränen Form des Haiku bleibt somit überraschend viel Luft für Erfahrungen der Ungewissheit und des Geheimnisvollen. In ihr
artikulieren sich auch die Sehnsüchte eines zuversichtlichen Romantikers: 
 
Wo die Sonne auf / und untergeht weit draußen / dort will ich wandern. 

Gerade aus dem, was erahnt, aber nicht geschaut werden kann, erwachsen die magischen Möglichkeiten von Poesie. Das eröffnet den
Spielraum für zauberhafte Glanzlichter in einem auf durchgehend hohem Niveau geschriebenen Buch: 

In kühlen Nächten / wärmt mich Dein Schlaf und Träume / blühen wie Sterne. 

(Nassauische Neue Presse)

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