Eirund,
W. , Röder,
H. (Hrsg): Psychotherapie Spiritualität Religion. Reihe: Schriften
zur Psychotherapie, Psychosomatik und ihren Grenzgebieten, Band 2.
Mit Beiträgen von W. Beinert, J. Bohl, W. Eirund, T. Moser,
H. Röder, M. Serim.
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Mit dem nun vorliegenden Buch zum Grenzbereich Spiritualität
und Psychotherapie legen die Herausgeber den zweiten Band einer von
ihnen ins Leben gerufenen Schriftenreihe zu den Grenzgebieten psychotherapeutischen
Handelns vor. Hannsknut Röder, Mitherausgeber der Reihe und Facharzt
für Psychosomatische Medizin, beleuchtet in einem einleitenden
und einfühlsamen Beitrag die auch wissenschaftlich nicht abzuweisende
Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen, aber auch die darin wohnende
Einsamkeit subjektiven Seins. Spiritualität wird in diesem Kontext
als ebenfalls subjektive, aber historisch gewachsene Möglichkeit
gesehen, in der Auseinandersetzung mit der daraus erwachsenden Not
des Menschen Lösungen anzubieten, deren Kraft einer auch medizinisch
zu verstehenden Heilung fördernd zur Seite stehen kann. An das
Thema der Subjektivität und der Singularität knüpft
Wolfgang Eirund unter der Überschrift „Der verbrochene Mensch“ in
einem sehr persönlichen Standpunkt an. Er berührt dabei neben
dem eigenen psychiatrischen Arbeitsgebiet fachübergreifend Bereiche
der Philosophie und der Theologie, was durch umfassende Anmerkungen
und Literaturhinweise abgerundet wird. Eirund verweist unter anderem
auf den Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit im
Gewahrwerden eigener Erinnerung und Erkenntnis. Im Wissen über
den sicheren Tod als erstes und sicherstes Wissen des erkennenden Menschen
sieht er die Wurzel menschlicher Not und den Ursprung jedes spirituellen
Bedürfnisses. Neben der Problematisierung des Begriffs „Wunder“ als
insuffizienten Versuch einer realitätsbezogenen Beweisführung
für spirituelle Überzeugun-gen beeindruckt auch der Bezug
auf die biblische Vertreibung aus dem Paradies. Diese versteht Eirund
symbolisch als Ausdruck dafür, wie die erste Erkenntnis des Menschen
ihn aus seinem paradiesischen Gefühl zeitlosen Daseins wirft:
Eine Vertreibung, die jeden wohl irgendwann einhole. Der Beitrag wird
zu einem Plädoyer für lebendige, sich entwickelnde Spiritualität,
die dem Menschen ermöglicht, sich bei aller Erkenntnis realer
Lebensumstände seinem Glauben stellen zu dürfen. – Dem
stellt der Regensburger Theologieprofessor und Dogmenhistoriker Wolfgang
Beinert eine eher traditionsorientierte Sicht der Schnittmengen zwischen
Heilkunde und Heilskunde gegenüber. Seine Ausführungen werden
nicht nur theologisch untermauert, sondern finden unter anderem mit
der Bezugnahme auf Thomas Manns „Doktor Faustus“ literarische
Entsprechungen. Die Querverweise und Anmerkungen sind umfassend und
gut sortiert. – Der Mainzer Neurowissenschaftler Jürgen
Bohl versucht, eine Verbindung naturwissenschaftlichen Denkens mit
spirituellen Ansprüchen herzustellen. In gewohnt lebendiger Art
werden auch hier Bezüge des eigenen Fachgebietes zu den Randgebieten
der Philologie und Philosophie entworfen, die den Leser letztlich fragen
lassen, warum wir überhaupt ein Problem in der Übereinkunft
spiritueller Einfühlung und wissenschaftlichen Denkens wahrnehmen: „Die
Wahrnehmung des Übersinnlichen ist die natürlichste Sache
der Welt“, schließt Bohl seinen Beitrag. – Nach diesen
eher theoretischen Ausführungen reflektiert der bekannte Autor
und Psychotherapeut Tilmann Moser das Thema anhand eines ausführlichen
praktischen Beispiels. Darin werden gerade auch ungünstige Auswirkungen
falsch verstandener Spiritualität (oder besser Religiosität)
auf die seelische Entwicklung reflektiert. Diese umfassende Darstellung
einer Therapiegeschichte ist vielleicht nicht jedermanns Sache. Sie
ergänzt die vorherigen Ausführungen meines Erachtens jedoch
in angemessener Form, da der Hinweis auf diese Problematik in einem
Buch zum Thema nicht unerwähnt bleiben sollte. – Murat Serim
bringt zum Abschluss einen aktuellen Praxisbezug in den Band, indem
er über spezifische Probleme in der psychotherapeutischen Arbeit
mit muslimischen Patienten aus der Türkei referiert. Seine sachlich-prägnante
Analyse ist für den westeuropäisch geprägten Leser aufgrund
der Darstellung oft unbekannter, aber tief verwurzelter Glaubensinhalte
türkischer Migranten interessant. Sie gewinnt durch den eigenen
biographischen und beruflichen Hintergrund des Autors noch zusätzlich
an Gewicht. – Die Beiträge werden abgerundet durch Zusammenfassungen
von Workshops zum Thema, die eine Tagung zum Buchtitel im vergangenen
Jahr in der Rheingau-Taunus-Klinik flankierten. – Der vorliegende
Band ist etwas besser editiert als der erste Band der Schriftenreihe,
da in ihm nicht nur sämtliche Vorträge der vorausgegangenen
Tagung Eingang fanden, sondern diesen auch hinreichend Anmerkungen
mit Literaturverweisen angefügt wurden. Insgesamt lässt sich
das Buch auch ohne einen Besuch der Tagung gut lesen. So stellt es
deutlich mehr als nur eine Zusammenfassung von Vorträgen dar:
Gerade in der heutigen Zeit ist es ein wertvoller Beitrag zur Auseinandersetzung
mit den Konsequenzen, welche sich aus der Konfrontation des rasanten
wissenschaftlichen Fortschritts mit der therapeutischen Praxis und
im Umgang mit psychisch kranken Menschen für das menschliche Seelenverständnis
ergeben.
Dr. med. Steffen Haas, Wiesbaden
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