Weisheit kommt beim Gehen
Peter Jentzmik ist Lehrer, Dichter und Bogenschütze

Entspannen - ein Wort in  aller Munde. Wo kommt es her? Vom Bogen. Vom Spannen der Sehne, die den  Pfeil schnellen lässt. Vom Entspannen nach der Jagd. Peter Jentzmik lächelt, als er es erklärt. Solche Einsichten weiter zugeben, macht ihm sichtlich Spaß. Er besitzt einen wunderbaren Bogen, glatt das Holz,  schön anzufassen, mit einem perfekten Schwung.

Ein Instrument der Wahrheitssuche

Jentzmik erläutert: Im Moment des Schießens wird ausgeatmet. Und: Ei geht nicht darum, das Ziel zu treffen. Jedenfalls nicht im Zen, von dem sich der Lehrer für Deutsch, katholische Religion und Hebräisch hat anregen lassen. Zen, Japanisch für Meditation, kennt viele, Wege: zum Beispiel das Bogenschießen, die Teezeremonie, den Blumenweg und das Dichten. Jentzmik betreibt das Bogenschießen in dieser Tradition: als Meditation, nicht als Sportübung. Der Bogen, eine Waffe, die auch töten könnte, ist für den Limburger ein Instrument der Weisheitssuche, Ein Instrument von vielen.

Ein anderes sind die "Haiku", die ebenfalls aus Japan stammenden Kürzestgedichte, von denen jedes nur 17 Silben in drei Zeilen umfasst. Fünf, sieben und dann wiederfünf Silben, das ist schwer zu machen, verlangt Konzentration auf das Wesentliche. Genau darauf kommt es dem Haiku-Dichter an. Haiku haben Eindrücke aus der Natur zum Gegenstand und die im Betrachter ausgelösten Stimmungen. Peter Jentzmik, der schon zwei Bände mit Haiku selbst verfasst und herausgegeben hat, nennt diese Gedichte die geringstmögliche Aussage tiefer Empfindungen.

Der Haiku-Übersetzer Dietrich Krusche schreibt, Haiku seien in den Augen der Europäer ständig in der Gefahr, nichts zu sein. Sie sind nicht "fertig" im Sinne eines Gedichts von Goethe, sondern bedürfen der empfindenden Antwort des Lesers. Nachvollzug, Spiel mit den Worten und Stimmungen machen den Reiz dieser zarten Gebilde aus.

Peter Jentzmiks Haiku entstanden im Gehen. Bei den täglichen Spaziergängen über den Greifenberg in Limburg, wo er wohnt, kamen sie ihm in den Sinn, Ausdruck einer meditativen, suchenden Haltung:

"Worte im Rhythmus // der Schritte bahnen den Weg // dann werden sie still."

Jentzmik ist passionierter Spaziergänger. Er nimmt fast immer denselben Weg: "Das ist nie langweilig, niemals, die Natur ist jeden Tag anders." Viele suchten heute den Kick esoterischer Erlebnisse, geben Geld für Seminare aus, in denen besondere Seelenzustände erreicht wurden, und danach erwarte sie ein ernüchternder Alltag, meint der Theologe und Germanist, der am Gymnasium in Hadamar unterrichtet.

Im Zen dagegen sei die Jagd nach "events", nach außergewöhnlieben Eindrücken und Reizen, ganz unnötig, ja sogar schädlich. "Ich brauche keinen Zauberberg zur Meditation." Der Spaziergang auf dem Hausberg - "45 Minuten im Schnellschritt" - reicht vollkommen aus. Und manchmal geschieht das Wunder:

"Befreit von der Last // meine Schritte zu zählen // bin ich ganz Ohr nun."

Aufmerksamkeit ist da, Stille, sogar Glück:

"Grenzen öffnen sich // im Talgrund meiner Träume // darin bin ich frei."

Staunen über die Schöpfung und Offenheit für religiöse Erfahrung kennzeichnen Jentzmiks Gedichte, Bilder von "Wein und Brot" und dem "Baum der Erkenntnis" lassen den Theologen ahnen:

"Namenloser Du // hast mich beim Namen genannt // seitdem bin ich Mensch"

Jentzmik nennt es ein "unglaubliches Privileg", seine Zeit einteilen zu können. "Wenn ich aus der Schule zurückkomme, beginnt nochmal ein neuer Tag." Die Zeit für seine Gänge ist da, für seine Gedichte, die Muße.

Ein Verleger aus Verlegenheit

Dafür verbringt er manchen Abend hinter dem Schreibtisch, in seinem Arbeitszimmer, in dem die Bücher jede Wand verdecken und darüber hinaus noch Unmengen von Eulenfiguren und Eulenabbildungen Platz finden müssen. 1993 hat der 1943 Geborene einen kleinen Verlag gegründet, den Glaukos- Verlag. Glaukos, das heißt "eulenäugig": eine Anspielung auf die Eule, das Tier der Weisheit. "Aus Verlegenheit bin ich Verleger geworden", berichtet Jentzmik. In der Bibliothek seines Gymnasiums hatte er einen frühen Druck des "richterlich Clagspiegel" von Sebastian Brant gefunden. Mit seinen Schülern untersuchte er das Werk und gab es als Buch heraus: "ein Höhepunkt meines Lehrerlebens". Seitdem sind etliche Werke in dem kleinen Verlag erschienen, und auch seine Haiku-Bände kamen dort heraus.

Aber in erster Linie ist er Lehrer, "sehr gerne Lehrer". Was er tut, soll andere ins Gespräch ziehen, anregen, über existentielle Fragen nachzudenken. Auch den Lesern seiner Gedichte gibt er den Hinweis, es doch selbst mit der Kunst des Haiku zu versuchen.                                                              (Ruth Lehnen) 
 

Treffsicher. Der Umgang mit Pfeil und Bogen ist für Peter Jentzmik eine Übung - wie der Umgang mit den Worten, den Gedichten. Es geht ihm um Sammlung, um Meditation.
(aus: Der Sonntag, Nr. 29, vom 27. Juli 2001)

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