Rezension in Christ in der Gegenwart, 03 / 2002:
Mystischer Glutkern
Mit dem neuesten Band von Eugen Biser liegt nicht nur eine
weitere Aufsatzsammlung vor, sondern - was Themenstellung und Reibung der Beiträge
angeht - so etwas wie eine umfassende Horizontabschreitung seiner Themen von
gewohntem zeitdiagnostischern Wert. Auf einen einleitenden Text, der
verschiedene Typen des Atheismus nennt und gegeneinander gewichtet, folgt eine
Reflexion auf den Gottesbegriff sowie zur Problematik des heilenden Verstehens.
Der Mensch ist hier als ein von der Urangst beherrschtes und somit nur im
christlichen Glauben zu heilendes Sprachwesen gekennzeichnet. Das Konzept einer
»therapeutischen Theologie" wird vertieft, um biblische Grundlegungen
bereichert. Den Band beschließen Beiträge, die eine Christologie der
Lebenszusage umspielen.
Bereichernd ist, wie der Autor vor dem Hintergrund
Kierkegaardscher Philosophie die Botschaft der Evangelien neu erstehen läßt,
als Zusage ungeminderten Lebens. Die eigentliche Lebensleistung Jesu - so Biser
- bestehe in der Annahme seines Todes (nicht in einer Sühneleistung). Eine
Einsicht, die in der Erkenntnis gipfelt: "Gott ist Licht, und Finsternis
ist nicht in ihm" (1 Joh 1, 15). Das Schlüsselwort dieser Christologie ist
die Einladung an die Mühseligen und Beladenen (Mt 11,28). Dringlich wird mit
Rahner und Nietzsche gegen ethisierende und dogmatische Verengungen der
mystische Glutkern des Christentums ins Gedächtnis gerufen. Wie sich die
Satisfaktionslehre, also die theologische Vorstellung, daß Gott durchs
Kreuzesopfer seines Sohnes Genugtuung wegen der Sünde der Menschen verlangt,
und Gottes therapeutische Macht widersprechen, wird mehrfach herausgestellt. Der
in diesem Band etwas vorherrschende Grundzug, eine Gesetzesreligion abzulehnen,
trifft leider indirekt auch das Judentum.
Joachim Valentin
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